Sonntag, 29. März 2015

Reisenachtrag

Der erste Tag unserer Reise am 17.02. begann mit unserem Treffen am Airport in Delhi. Das lief alles reibungslos und David wartete schon am Ausgang auf mich. Von dort fuhren wir mit der Metro nach Neu Delhi, wo wir am Main Bazar, Parhaganj, dem Low-Budget Touristen Spot ein Hotel gebucht hatten. Beim Versuch um dorthin zu gelangen die Bahnstation zu passieren liefen wir gleich dem ersten Nepper ins Netz. Dieser erklärte uns, da heute Shuboratri, ein Hindu-Feiertag und damit große Festivitäten seien, brauche man eine spezielle Erlaubnis um Parhaganj zu betreten. Souverän führte er uns zu einer Autorikscha und erklärte uns, diesen Schein erhielten wir im Touristenbüro am Connaugh Square. Zuerst waren wir sehr vertrauensseelig, aber nach einer Weile wurde ich dann doch skeptisch und rief im Hotel an, um mich einmal abzusichern. Der Manager entlarvte das Ganze dann auch sofort als Betrug, wir wendeten die Rikscha nach 200m wieder und passierten in einem zweiten Anlauf die zahlreichen Personenkontrollen und Taschendurchleuchtungen am Bahnhof, die uns zuvor verunsichert hatten. Anzumerken ist, dass bei unserer Reise ungefähr an jedem Bahnhof und jeder Sehenswürdigkeit unser Gepäck gescannt wurde. Das Klappmesser, dass ich zum Obstschneiden immer bei mir habe jedoch nur in einem Fall bemerkt wurde. Da David vom Straßenleben in Indien natürlich erstmal überfordert war, entschieden wir direkt in Delhi nur eine Nacht zu bleiben. Am ersten Abend schlenderten wir durch die Gassen, ließen den Trubel auf uns wirken. Am nächsten Morgen besichtigten wir das Rote Fort und schlenderten über einen der hektischen Bazare zurück. Dort musste David durch mich veranlasst dann seine erste Erfahrung mit den von Indern stets beworbenen und gnadenlos süßen indischen Sweets sammeln. Es gab Jalabes, in Fett ausgebackene und danach in Sirup ertränkte Teigspiralen. Ein einziger Fett-Zucker-Matsch in deinem Mund, aber dieser Sweets mag ich sogar ziemlich gerne. J Bis zum Abend schlugen wir dann die restliche Zeit auf einem der zahlreichen Rooftop-Cafés tot und hetzten dann letzten Endes doch zur Busstation um unseren Nachtbus nach Dharamsala zu erwischen. Das Bussystem in Indien ist ziemlich gut ausgebaut. Für zahlreiche Nah- und Fernstrecken gibt es Busse verschiedener Preis- und Komfortkategorien. Wir gönnten uns einen AC-Semisleeper Bus (bedeutet klimatisiert und mit bequemen Sitzen, die nach hinten geklappt in eine Art Liege verwandelt werden können). Am liebsten hätte ich einen der Sleeper-Busse ausprobiert, die tatsächlich seperaten Liegekojen ausgestattet sind. Diese Kategorie wird allerdings in weiser Voraussicht auf den kurvigen Bergstraßen nach Himachal Pradesh nicht angeboten. Nach diversen Buswechseln wegen defekter Bremsen etc. und 13 Stunden Fahrt erreichten wir dann am nächsten Morgen McLeod Ganj bei Dharamsala und wurden mit behaglichem Schmuddelwetter begrüßt.

McLeod Ganj ist ein winzig kleines, aber sehr nettes Nest, das eigentlich nur aus fünf zusammentreffenden Straßen besteht. Es liegt ziemlich hoch (eine genaue Meterzahl kann ich leider nicht angeben) und ist von schneebedeckten Gipfeln umgeben. Wir wurden telefonisch von Alex, einem anderen, in McLeod Ganj seinen Freiwilligendienst Leistenden zu unserer Unterkunft gelotst. Wir bekamen ein Gästezimmer in der buddhistischen Mönchsschule des Ortes, zu der man 300 Stufen eine kleine, steile Treppe hinab krakseln muss. (Ich erwähne das, da es von jedem dort betont wird und daher besondere Wichtigkeit zu haben scheint.) Das Zimmer war sehr schön, allerdings sind indische Häuser in keinem Fall in unserer Weise isoliert, sodass die Behaglichkeit bei unter 10 Grad und Regen doch etwas zu wünschen übrig ließ (zudem ich mich in letzter Zeit auf einen gewissen Standard von über 20° eingestellt habe). Mit dem Wetter hatten wir wirklich Pech. Es regnete und gewitterte konsequent weiter und das, obwohl das Wetter die Tage zuvor schön gewesen sein soll. Ein weiterer Schlag kam leider dazu: Genau in dieser Woche feierten die Chinesen und Tibeter ihr Neujahrsfest. Dieses dauert mehrere Tage und bedeutete, dass beinahe alle Geschäfte und Restaurants geschlossen blieben, da die Tibeter die Tempel besuchen oder Zeit mit der Familie zu verbringen. Viel Zuflucht vor dem Regen bot sich in der Stadt daher auch nicht. Wir ließen uns also nass regnen, erforschten das an Geschäften und Sehenswürdigkeiten, das trotz der Feiertage möglich war und wärmten uns zwischendurch immer wieder in dem einzigen geöffneten Café der Stadt mit einem leckeren Chai. An diesem Café merkte man, wie sehr das Stadtbild in McLeod Ganj von Tourismus geprägt ist. Obwohl die Stadt so klein ist, finden sich dort gefühlt hunderte von Geschäften, in denen man tibetischen Schmuck, Yak-wool Schals und anderen Schnickschnack kaufen kann und auch die Restaurants sind mit komfortablen Sitzgelegenheiten zum Entspannen, Wifi, Kuchen und frischen Waffeln schon sehr auf den touristischen Geschmack ausgelegt. (Inder verlassen Restaurants nach dem Essen meist schnell wieder und die Tibeter trinken ihren Tee mit geklärter Butter – sehr gewöhnungsbedürftig. Ein netter Australier, der auch in unserem Guesthouse untergekommen war, borgte uns gegen Nachmittag noch einen Heizlüfter. Unsere Rettung. Da die Wohnungen hier meist nicht über Heizungen verfügen, bietet dieses kleine Gerät, das wie ein Fön funktioniert und wie ein Toaster aussieht, die einzige Rettung. Wir entschlossen uns trotzdem unseren Besuch um einen Tag zu kürzen und buchten unseren Bus um.  In der restlichen Zeit ließen wir uns von unserem australischen Zimmernachbarn noch den Tempel und die angrenzende Wohnstätte des Dalai Lama zeigen. Entsetzt  waren wir dort  durch aushängende Fotografien und „Märtyrer-Gedenksäulen“ stattfindende Heroisierung von Selbstverbrennungen. Die Anzahl der Bilder, das junge Alter der Abgebildeten und die Tatsache, dass ein solcher Selbstmord meines Erachtens niemals wirklich Aussicht darauf haben kann, an der politischen Realität etwas zu ändern, bedrückten mich sehr.

Wir fuhren dann mit dem Bus zurück nach Delhi und erreichten dort die Bahnstation glücklicher Weise noch rechtzeitig um den Zug weiter nach Agra zu bekommen. Es gestaltete sich bloß als großes Kunststück, den richtigen Zug auch zu finden. Auf unserem Ticket standen weder Gleis noch Zugnummer, Anzeigetafeln mit den Zielen eines Zugs gab es nicht und von jedem Bahnangestellten wurden wir zu unterschiedlichsten Gleisnummern ver- und dort wiederum abgewiesen, da es sich nicht um unseren Zug handele. In letzter Sekunde konnten wir noch in unseren Zug springen und uns aus der völlig verräucherten und zwielichtigen General class doch noch auf zwei freie Liegen in der Sleeper class retten. In Agra hatten kamen wir in einem netten günstigen Hostel unter, das von zwei riesigen, schlaksigen Typen verwaltete wurde, die beide sehr witzige, kontrastierende Stimmen hatten: einer unfassbar tief, der andere hoch und fistelig. Es hatte – wie ungefähr alle Hotels bzw. Restaurants dort – ein schönes Rooftop-Café mit Blick auf das Taj Mahal. Diese Orte waren ein wunderbarer Rückzugsort, da wir Agra mit seinem auf enge Straßen komprimierten, natürlich lautstark hupendem Verkehr als verhältnismäßig stressig empfanden. Wir besichtigten das Agra Fort, das wir beide sehenswerter fanden, als das Rote Fort in Delhi, Bazare und natürlich das Taj Mahal. Das war natürlich beeindruckend, aber meine Faszination für Indien ergibt sich, wie mir immer mehr bewusst wird, viel mehr aus dem menschlichen Miteinander und dem Straßenleben, als aus den berühmten Sehenswürdigkeiten. Das florale Muster des Taj Mahal erinnerte mich zudem die ganze Zeit übermäßig an das Design eines IKEA-Bettwäsche Sets. Da haben die Schweden bestimmt ihre Inspiration in Indien gefunden. Am letzten Nachmittag verirrten wir uns einmal vollständig in Agras Altstadtgassen und David wurde schon nervös, da wir immer mehr von den Einheimischen beäugt und belagert wurden. Daran gewöhnt man sich allerdings, wenn man sich eine gewisse Zeit in Indien aufhält. 

Samstag, 21. Februar 2015

Endzeitgefühle

Trotz aller Schwierigkeiten, die ich in den Monaten zuvor hatte, gestalteten sich die letzten Tage in Nagaon doch erstaunlich schwer und die Abschiedswehmut war groß. Etwas besänftigt durch die Aussicht die Christ Jyoti School bald verlassen zu können, gelang es mir in den letzten Wochen mich doch etwas besser auf die Situation einzulassen. Ich verbrachte viel Zeit auf dem Dach in der Sonne mit Lesen, schlief viel, belagerte die Köchinnen bei ihrer Arbeit und beobachtete stundenlang einfach nur die Bauarbeiten auf dem Schulgelände. Es war kolossal spannend, wie die bestimmt teilweise erst 15-, 16-jährigen Arbeiter mit Flipflops an den Füßen und verschiedenstem, oft eher improvisiert wirkendem Werkzeug und bloßer Körperkraft nach nicht ganz nachvollziehbarem System ganze Gebäude einrissen. Zwischendurch brach mal ein Arbeiter durch den Fußboden, da das Haus an dieser Stelle schon ziemlich porös war und stürzte ein Stockwerk tiefer. Dann stand die gesamte Arbeiterschaft ungefähr fünf Minuten, aufgebracht schnatternd um ihn herum, er stand wieder auf und die Arbeit ging weiter. Vorteil der geringeren Sicherheitsmaßnahmen in Indien, dass die Baustellen nicht wie bei uns vollständig abgesperrt sind und ich die Arbeiten daher von ganz Nahem sehen konnte. Mit dieser Gelassenheit, die sich in mir in den letzten Wochen entwickelte, hätte ich es in Nagaon bestimmt doch auch länger aushalten können. Jedoch war es für mich nicht das Ziel dieses Jahres mich für den Großteil des Tages allein mit einem Buch auf ein Dach zurückzuziehen. Es ging darum Menschen zu begegnen und eine Aufgabe zu haben. Daher war es die richtige Entscheidung nach sieben Monaten zu gehen, auch wenn mir der Abschied nun schwer fällt. Zudem grenzt der Umgang mit christlichen, daher doch meiner Erwartung nach eigentlich menschenfreundlichen Fathers an das Ertragbare. Eine meiner letzten Erinnerungen an ein gemeinsames Frühstück: Um das Schweigen zu unterbrechen und ein wenig Smalltalk zu führen spricht Lisa einen der Fathers auf seinen neuen Blazer an, da sie diese bis jetzt nur an den Lehrern als neue formale Schulkleidung gesehen hatte („Oooh, you also have one of those blazers?“). Darauf antwortet dieser mit der Aussage: „Of cause. What do you think? I am the administrator of this school. Why do you always talk such rubbish?“ Charmant. Eine Aktion von vielen, die dazu führen, dass man nur noch den Kopf einzieht, wenn man einem der Fathers begegnet und den Mund gar nicht mehr öffnet. Es gibt natürlich auch Ausnahmen, aber das Gesamtgefühl ist dieses. Da sich auch die Brothers, die noch im Studium befindlichen Priester, die ich bei uns im Haus erlebt habe am Esstisch so devot schweigend verhalten, vermute ich fast, dass sich im Verlaufe ihrer Ausbildung eine derartige Frustration aufstaut und so viel heruntergeschluckt werden musste, dass sie dies später in ihrer als Fathers endlich erlangen Machtposition mit solcher verbaler Aggressivität irgendwie kompensieren müssen. Meinem Bild vom Katholizismus hat das Leben an dieser Schule nicht besonders gut getan. Das Wort, das mir konsequent im Kopf herumgeisterte war „Scheinheiligkeit“. Wenn nach außen hin ein Leben in Armut angepriesen wird und dann im Gemeinschaftsraum die Sahnetorten stehen, Dinge, die in der Öffentlichkeit verboten, plötzlich im Hinterzimmer ganz legitim sind (sich die Kante geben zum Beispiel) und der offiziell gerade im Gebet versunkene Fathers gerade auf dem Sofa liegt und ein Nickerchen macht ,hat das mit Integrität nicht viel zu tun. Die Schwestern sind da meines Erachtens konsequenter. Ich glaube ich muss bei meinen Erfahrungen in Indien ganz massiv trennen zwischen dem, was ich mit der Ordensgemeinschaft bzw. meiner unergiebigen Arbeit in der Schule erfahren habe und den anderen zahlreichen Erfahrungen und Bekanntschaften, die ich gemacht habe und die ich unwahrscheinlich vermissen werde. Erst zum Abschied wird einem klar, wie sehr man sich doch schon an das neue Leben in Indien gewöhnt hat. Besonders der Abschied zu Lolita und Estrilla unseren beiden Köchinnen war sehr schwer. Nachdem Johanna das Projekt verlassen hatte, war ihre Küche eine Art Zufluchtsort, in der ich, wenn ich mich einsam fühlte getröstet, bei Langeweile mit Knoblauch Schälen beschäftigt wurde oder wo ich einfach nur den beiden bei der Arbeit zusah, mit ihnen rumwitzelte und über die Fathers lästerte. Ich habe unglaublich Respekt vor den beiden, denn die Arbeit bei den Fathers bietet ihnen zwar große Vorteile - Sicherheit und Platz an der Privatschule für die Töchter. Jedoch arbeiten beide sieben Tage die Woche von 05-12 und 15-19Uhr und hören kaum mal ein freundliches Wort, sondern immer nur, ob das Essen gerade zu viel oder zu wenig war. (Was man mal kalkulieren soll, wenn die Fathers immer unangekündigt Gäste einladen.) Der andere schwere Abschied war von der Familie Thomas, die in den nahe gelegenen Colonies wohnt und die so etwas wie meine Ersatzfamilie geworden sind. Die Familienstruktur mit den drei Töchtern, entspricht exakt meiner eigenen und ich wurde dort so herzlich aufgenommen, dass ich mich wie bei Mutti und Schwestern gefühlt habe. J Kleine Kabbeleien eingeschlossen.
Nachdem nun die fürchterlichen Abschiede hinter mich gebracht sind, beginnt nun vorerst der letzte Teil meiner Indien-Erfahrungen und ich Reise für drei Wochen mit meinem Freund. Wir haben uns für eine der touristischsten Routen entschieden und treffen uns in Delhi. Von dort starten wir dann mit einem kleinen Schlenker nach McLeod Ganj in Himachal Pradesh, dem am Himalaya gelegenen Zufluchtsort der Exiltibeter und des Dalai Lama. Dann fahren wir zurück Richtung Süden nach Agra, besuchen Jaipur, Pushkar und Jodhpur im wüstigen Rajastan, gefolgt von Mumbai. Ausklingen und als Übergang ins westliche Deutschland vielleicht gar nicht schlecht lassen wir unsere Reise dann entspannt im wohl touristischsten Ort Indiens ausklingen: Goa. Ich freue mich schon sehr.

Dienstag, 10. Februar 2015

Reisezeit - Kolkata

Da Fabian seinen Reisepass wirklich noch in letzter Minute von den Behörden in Delhi zurückerhalten hatte, konnten wir zu guter Letzt am 16.12.14 doch noch gemeinsam unsere Reise nach Kolkata starten. Zu Beginn schien erst einmal alles schief zu laufen. Fabians Rückflug wurde von Spicejet gecancelt und musste umgebucht werden, sodass er Kolkata einen Tag früher verlassen würde. Als wir am Flughafen in Guwahati eintrafen stand dann bereits eine aufgebracht schreiende Menschenmenge vor dem Spicejet-Schalter, da ein Flug nach Delhi vollständig gecancelt wurde, nachdem er bereits mehrere Tage Stück für Stück nach hinten verschoben wurde. Auch unser Flug wurde dann als verspätet angekündigt. Nervig, wenn man eh deutlich vor der Zeit am Flughafen ist (Die Erfahrung zeigt: Für alle Eventualitäten ist es in Indien immer besser einen üppigen Zeitpuffer einzuplanen.). Immer wieder wurde der Grad der Verspätung vergrößert und es hing die große Ungewissheit im Raum, ob der Flug überhaupt starten würde. Gott sei Dank konnten wir uns die Wartezeit mit zwei netten Fathers aus Shillong vertreiben, von denen der eine –wie so viele – eine Zeit lang in Deutschland studiert hatte, über großes historisches Wissen verfügte und mir viel über die Geschichte Indiens erzählen konnte. Nachdem der Flug dann nach viel Trara und mit ca. 10 Stunden Verspätung Kolkata erreichte, standen wir dann vor einem neuen Problem: Wohin mit uns um drei Uhr morgens? Da uns der Sinn nicht danach stand noch mehr Zeit am Flughafen zu verbringen, fuhren wir trotz nachtschlafender Zeit einfach in die Sudder Street zum Afridi international Hotel, in dem wir reserviert hatten. Die Sudder Street stellte sich jedoch nicht als das freundliche und belebte Touristenzentrum dar (das es wie wir später herausfanden tagsüber ist), sondern als düstere Gasse, ohne Beleuchtung, in deren Ecken Leute unter Plastikplanen schliefen und Hunde den Müll durchwühlten. Erfolglos und ängstlich rüttelten wir  an den Türen unseres und mehrerer anderer Hotels, wo uns zwar überall jemand antwortete, die Leute jedoch hinter den vergitterten Türen verschanzt blieben und uns darauf verwiesen, morgen wieder zu kommen. So abgewiesen standen wir mit klopfendem Herzen  allein auf der zwielichtigen Straße bis uns ein beflissener Taxifahrer in sein Taxi und in das nächste geöffnete Hotel manövrierte. Das Zimmer dort wurde uns zwar zu einem völlig unverhältnismäßigen Preis angedreht, jedoch war ich nach dieser Erfahrung nur froh die Tür hinter mir abschließen zu können.
Am nächsten Morgen machten wir uns dann zu Fuß auf unser eigentliches Hotel zu beziehen. Bei Tag sah die Sudder Street dann völlig anders aus: touristischer Trubel, freundliche Händler und das Hotel war einfach super. Und damit begann der schöne Teil der Reise:
Wir besichtigten den Maidan, das Victoria Memorial und die St. Paul’s Cathedral. Am nächsten Tag wanderten wir die geschäftige Neruh road entlang in Richtung BBD Bagh – eines künstlichen Sees in der Stadt, umringt von schönen historischen Gebäuden -, über den Blumenmarkt und die Howrah Bridge – angeblich die verkehrsreichste Brücke der Welt – über die Mahatma Ghandi road zum Marble Palace und wieder zurück zum Hotel. Zwischendurch genossen wir das Straßenessen, Kolkatas berühmte Sweets und die umliegende Kolonialzeitarchitektur. Und immer wieder gab‘s natürlich Chai-Pausen. Ein bisschen indische Kultur steckt uns ja mittlerweile doch in den Knochen. J
Dann besuchten wir noch das Mother Theresa House, in dem sie ihre letzten Jahre gearbeitet hat und auch gestorben ist, den Weihnachtsmarkt in der Park Street, der bei uns aber wenig weihnachtliche Stimmung hervorrief und trafen uns mit Emmanuel, einem deutschen Studenten, der für ein Jahr in einem indischen Unternehmen arbeitet und den ich im Vorfeld unserer Reise bei facebook kennengelernt hatte. Es war sehr schön sich mit jemand anderem über die Erfahrungen in Indien und mit Freiwilligendiensten (er war in Afrika) austauschen zu können. Zudem hatte er immer wieder kleine Geheimtipps, vor allem bezüglich Bars, Cafés und Restaurants in denen wir sehr nette Abende verbrachten. Insgesamt war es unglaublich, wie sicher ich mich als weiße, junge Frau in Kolkata fühlen konnte. Ich konnte mich allein bewegen ohne mich verunsichert zu fühlen. Hier wurde mir der Unterschied zwischen einer weltoffeneren Großstadt und den ländlichen und krisengeschüttelten Assam erst so richtig bewusst.

Meinen letzten Tag verbrachte ich, da Fabian ja einen Tag früher fliegen musste, mit einer Tour über den New Market, einer alten Verkaufshalle die heute ein wahres Shoppingparadies ist, auch wenn man sich ununterbrochen gegen übergriffige „Shopping-Guides“ und Händler durchsetzen muss. Im dritten Shop nahm mich dann auch gleich eine überschwängliche, Ende vierzig-jährige Australierin unter ihre Fittiche und führte mich zu den „best shops“. Da ich eh keine Pläne für den Tag hatte nahm ich ihre Gesellschaft sehr gerne an und tourte mit ihr unter viel Gewusel durch den Markt. Am Abend traf ich mich dann noch ein letztes Mal mit Emmanuel, trank eine für mich grässliche heiße Schokolade, die gerichtet nach dem indischem Geschmack ungefähr zur Hälfte aus Zucker bestand und machte mich dann am Sonntag früh auf, um nach Kerala weiterzureisen. Der erste Abschnitt meiner vierwöchigen Reisezeit war schon mal ein voller Erfolg.

Chai-Pause


Howrah-Bridge 

 Mullik Ghat Flower Market

professionelles Ohrenputzen
Victoria Memorial


Sonntag, 14. Dezember 2014

Endlich Kaziranga

Der Kontakt, den wir Ende November durch unsere Übernachtung in der Salonah Mission zu den dortigen Fathers hergestellt hatten, zahlte sich Ende letzter Woche sofort in großartiger Weise aus. Schon bei unserem ersten Besuch machte uns Father Philip das Angebot, doch gerne erneut zu ihm nach Salonah zu kommen sodass er mit uns eventuell in den Kaziranga National Park fahren könne. Wir versuchten also eine Woche lang unser Möglichstes um diese Einladung zu realisieren: Wir bissen die Zähne zusammen und fragten den überarbeiteten und schlecht gelaunten Father Benny um Erlaubnis, auch wenn wir große Angst davor hatten ihn anzusprechen. Father Philip hängte sich ins Zeug und organisierte uns eine Rückfahrmöglichkeit und im wirklich letzten Moment gelang es uns dann noch eine Begleitung für die Hinfahrt zu finden. Die Fahrt führt über zahlreiche Dörfer, man muss mehrere Male umsteigen und die Fathers verbieten es uns ja grundsätzlich, uns allein mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu bewegen. Daher waren wir sehr froh, dass uns Silvester, der Leiter des Schuloffices erzählte, dass er aus Salonah stamme und seinen Sohn zu unserer Begleitung einfach auf „Heimbesuch“ schickte.
Als wir in der Mission ankamen hatten Johanna und Ich unseren ersten Euphorie-Schub. Die Menschen dort sind einfach so herzlich und erst durch den Abstand zu unserer Schule und den Fathers wurde uns deutlich, wie bedrückend und belastend die Situation dort ist und wie gut es tut dort rauszukommen. Wir kochten den Fathers zum Abendbrot „deutsche“ Apfelpfannkuchen (Die sie im Gegenzug zu unseren Fathers auch probierten. Und mochten!), saßen am Lagerfeuer und sangen zu zweit Weihnachtslieder, bis ein Father sich zu uns setzte und wir uns lange und intensiv über unser Leben, Deutschland und Indien unterhielten. Wenn man sich überlegt, dass mich die Fathers in Nagaon noch nicht einmal gefragt haben, wie viele Geschwister ich habe, war das eine schöne Differenzerfahrung.
Am nächsten Morgen klingelte dann um viertel vor vier unser Wecker. Wir schlüpften in unsere Wanderstiefel, drei Pullover-Schichten, Mütze und Schal und fuhren noch halb komatös mit Father Philip die 1,5 Stunden bis in den National Park. Dort befanden wir uns dann in der merkwürdigen Situation, das erste Mal Touristen und vor allem Weiße in Indien zu sehen. Nagaon ist provinziell. Dort begegnet man keinen Ausländern und daher konnte ich mich jetzt das erste Mal in die Situation der fasziniert, aber penetrant aufdringlich starrenden Inder versetzen. Zu dritt kletterten wir dann auf die Elefantendame Maruti und machten eine kurze (1Std) aber unglaublich schöne und beeindruckende Tour durch den Park. Wir ritten durch matschige Sumpfebenen, hohes vom Nebel feuchtes Savannengras und konnten zahlreiche Tiere – Reharten und Vögel z.B. Pelikane – sehen. Besonders beeindruckend waren die „One-horn Rhinos“ , für die der Park berühmt ist. Drei davon grasten in nur zehn Meter Entfernung und wir konnten den Körper eingehend betrachten, der fast Schilkröten- oder Dinosaurier-artig von einer Art Panzer umgeben ist. Skurrile Tiere. J

Anschließend fütterten wir noch die Babyelefanten mit Bananen, die sie uns ungestüm aus den Händen rissen und fuhren zurück in die Mission um übervoll an Eindrücken erst einmal ausgiebig zu frühstücken.







Im Teegarten der Salonah-Mission

Annekdoten aus Indien 3: Terminplanung

Möchte man nach deutscher Manier in Indien eine Veranstaltung planen, stößt man mit dem Versuch deutscher Planung - wie wir mittlerweile erfahren haben - schnell an seine Grenzen. Die Zahl der eintreffenden Gäste und auch Zeit ihres Eintreffens bzw. Abreisens ist schier unkalkulierbar. Da Johanna ab dem 10.Dezember für sieben Wochen auf Reisen geht und hinterher nur für eine Woche ins Projekt zurückkehrt bevor sie Indien verlässt, wollte sie am Sonntag eine kleine „Farewell-Party“ vor allem für die befreundeten Lehrer geben. Da wir hier ja eh nicht so mit Beschäftigung gesegnet sind, gaben wir uns große Mühe und bastelten Einladungskarten, überlegten uns deutsche Gerichte, die wir auf dem Büffet anbieten könnten (am Ende wurde es Baumkuchen) und ein paar Worte, die Johanna zum Abschied an alle richten wollte. Es war jedoch völlig unmöglich im Vorfeld herauszubekommen, wie viele von den ca. 25 eingeladenen Gästen tatsächlich kommen würden, da alle mit eindeutigen Aussagen ziemlich herumdrucksten. Wir bereiteten also Essen für 20 Personen vor um für alle Eventualitäten gewappnet zu sein. Wir fuhren um halb zehn morgens zu Pinky Madam, in deren Tution-Center (ein seperater spartanischer, mit Bänken versehener Raum auf dem Dach ihres Nachbarhauses) die Party stattfinden sollte. Dort wollten wir dann gemeinsam das Basis-Menü vorbereiten, aber Miss Pinky war natürlich schon um sechs Uhr aufgestanden und hatte alles allein fertiggestellt. Zudem sollte nach Art eines deutschen Büffets um der lieben Vielfalt Willen jeder Gast noch eine Kleinigkeit beisteuern. Dies stieß auf sehr geteilte Meinung, sorgte zumindest aber für große Verwirrung. J Wir hübschten uns dann noch ein bisschen mit unseren frisch erworbenen Mekhela Chadors, den assametischen Sarees auf und warteten auf die Gäste. Und warteten, und warteten…

Eine Stunde nach verabredeter Zeit waren dann „tatsächlich schon“ zwei Gäste eingetroffen und Johanna wurde schon immer verzweifelter, ob es denn bei diesen zwei bleiben würde. Irgendwann kam dann aber doch noch ein Haufen aus sechs weiteren Personen angetrudelt. Nach all der Warterei entsprechend hungrig, ließ Johanna dann das geplante Spiel und die dankenden Worte ausfallen und ging direkt zum Buffet über. Ein Gast blieb nur für fünf Minuten, weil er wichtige Arbeiten zu erledigen habe.(Aber eine sehr nette Geste, dass er überhaupt gekommen ist.)  Die anderen verabschiedeten sich nach einer Stunde, nachdem gegessen und Millionen von Fotos geschossen wurden, da sie schnell wieder Klausuren korrigieren, Tanzklassen leiten oder Nachhilfe geben mussten. Und es blieb natürlich viel zu viel Essen über. (Nur der Baumkuchen war so ratzekahl leer gegessen, dass ich selbst kein Stück mehr ergattern konnte. Kein Wunder. Hier gibt es leider nur synthetische Zuckerschaum-Torten J ) Im Nachhinein fanden wir heraus, dass Johanna über diese Zahl an Gästen und den Erfolg ihrer Party sehr froh sein konnte. Bei den geplanten Geburtstagspartys von anderen Freiwilligen in Indien kam in zahlreichen Fällen kein einziger Gast. Terminplanung in Indien ist deutlich flexibler als man es in Deutschland kennt.




Montag, 8. Dezember 2014

Village-Life

Am letzten Donnerstag, den 27.11. konnten wir unserer Schulpflicht und der angespannten Situation mit den Fathers etwas entkommen, da eine Freundin aus der benachbarten christlichen Siedlung und ihre Schwester mich und Johanna einluden ihr Dorf zu besuchen. Diese Einladung wurde zwar etwas schamhaft ausgesprochen, mit der Warnung, dass ihre Familie sehr arm sei und uns nichts bieten könne, aber wir freuten uns wahnsinnig. Nachdem wir unter der Bedingung, dass wir im Convent der dortigen Schwestern übernachten und nicht im Haus der Familie gaben die Fathers nach einigem Knurren auch endlich ihre Erlaubnis. Die Reise begann mit einer Cycle-Rikscha-Fahrt nach Nagaon, dann stiegen wir in ein public car (so etwas wie Jeep-Busse, in denen mit etwas Quetschen erstaunlich viele Menschen Platz finden) und fuhren dann die letzte Strecke mit der Auto-Rikscha eines Freundes von Swapna. Dort wurde dann trotz angekündigter Armut für uns Gäste das volle Programm aus Tee, Kuchen und in Sirup getränkten Rasgulla aufgefahren. J Wir fuhren dann wieder in Swapnas Haus und gegen Mittag nach Hause. Unglaublich was für schöne Tage und welche Herzlichkeit uns diese arme Familie geschenkt hat.
Sweets (von uns "Ranz-Süßigkeiten" getauft), schmeckt leider fast alles NICHT!

Und hier begann Johannas Sternfrucht-Exzess

Johannas Jagd nach Sternfrüchten

Reisfelder hinter dem Haus

Waschplatz mit Gebirgswasser

Aussicht von den umliegenden Hügeln

Swapnas Mann beim Fischen im eigenen Teich

ein mittelgroßer Fisch

Bildunterschrift hinzufügen

Essen von Bananentellern - Einweg-Geschirr mal anders

Familienfoto
Die Gäste gut zu bewirten ist hier einfach eine Frage der Ehre. Dann wurden uns mit einer Mischung aus Scham und Stolz das Haus und das Gelände gezeigt. Swapnas Ehemann, den sie mit 14 nach eigener Aussage aus Liebe geheiratet hat, lebt dort und bewirtschaftet das wenige an Land, das er hat. Swapna lebt bei ihrer Mutter in der Stadt, da sie ihre Kinder dort zur Schule schicken will. Leider steht die Familie aus diesem Grund unter hohem Druck, da sie Schulden aufnehmen müssen um das Schulgeld zu zahlen, die sie in ihrer momentanen Situation niemals zurückzahlen können. Indien ist für mich gefühlt das fruchtbarste Land der Welt. Um das relativ spartanische Haus, in dem es nicht mal ein Bett gab, erstreckte sich ein Garten mit Mango-,Kokos-, Bananen-, Jack- und Sternfrucht-Bäumen, Auberginen- und Kürbis-Pflanzen etc. Da die Familie den Ertrag eines Sternfruchtbaumes allein gar nicht bewältigen kann, konnten Johanna und ich uns den Bauch voll schlagen und bekamen sogar eine riesige Tragetasche voll geschenkt. Hinter dem Garten besitzt die Familie ein paar Reisefelder und eine kleine Teeplantage, deren Blätter sie an die nah gelegene Fabrik verkauft. Außerdem hat Swapna für eine langfristig bessere Perspektive eine kleine Gummibaumplantage angelegt, die in ein paar Jahren Erträge liefern wird um die finanzielle Situation der Familie zu erleichtern. Wir besichtigten das ganze Gelände, fanden Elefanten-Fußabdrücke in den ausgetrockneten Reisfeldern und kletterten auf die nahen Hügel um die Aussicht zu genießen. Die Elefanten, wie sehr wir Europäer uns auch schon selbst über Fußabdrücke freuen, stellen eine enorme Belastung für die Landbevölkerung dar: Sie kommen in Herden aus den Bergen und fressen die Felder und Gärten leer und bringen die Menschen dadurch in Not. Dann gingen wir zu meiner Freude mit Swapnas Ehemann fischen. Zwar entschieden wir uns aus gesundheitlichen Gründen den Teich besser nicht zu betreten und nur zuzusehen, aber auch das war schon spannend. Das Wurfnetz förderte dann auch 5 winzige, 5 ca. 15 cm große und einen größeren Fisch zu tage, die wir anschließend zum Abendessen zubereiteten. Endlich einmal gemeinschaftliches Kochen, wenn auch nicht indisch sondern deutsch: Etwas elend wurde mir doch, als der Fisch nicht wenigstens zur Betäubung zu Beginn einen Schlag verpasst bekam oder schnell umgebracht wurde. Stattdessen wurden zuerst mit einem Messer die Schuppen abgeschabt, die Flossen abgeschnitten und dann erst der tötende Schnitt gesetzt. Das war für mich sehr hart. Aber ausnehmen wollte ich den Fisch dann unbedingt selber. Anschließend wurde Gemüse geschnibbelt und gekocht, Salat gemacht und der Fisch gefüllt und gekocht. Serviert wurde alles zu unserer Überraschung wie in Südindien üblich auf handgemachten Tellern aus den Stücken einer Bananenpalme. Dann fuhren wir schnell, da es schon dunkel wurde, in die benachbarte Salonah-Mission, wo wir von dem dortigen Parish Pries Father Philip sehr nett beherbergt wurden. Am nächsten Morgen gab es dann Foto-Session mit dem glatzköpfigen Father und er zeigte uns sein Gelände. Dort konnten wir auch eine Gummibaum-Plantage in Produktion sehen. Sehr spannend. So etwas kannte ich bis jetzt nur aus der Sendung mit der Maus.

Freitag, 7. November 2014

Alltagsfrust

Auf Anfrage und auch aus gegebenem Anlass möchte ich heute mal ein bisschen mehr auf meinen Alltag hier im Projekt und meine Arbeit eingehen.
Gegebener Anlass deshalb, da dieses Thema unseren Aufenthalt in Indien seit Beginn ein wenig madig macht und sich die Situation in den letzten Tagen noch zusätzlich verschärft hat. Deshalb denke ich im Moment wirklich sehr darüber nach, wie lange der Aufenthalt im Projekt sich für mich noch lohnt.
Zu Beginn unseres Aufenthalts wurden wir - wie ja schon beschrieben - in unterschiedliche Nursery-Klassen eingeteilt, in denen wir den Lehrern „assistieren“ sollten. Das war zwar eine interessante Erfahrung, weil man Einblicke in die Unterrichtssituation in Indien erhalten konnte, im Grunde hatten wir dort als Freiwillige aber keine richtige Funktion. Zudem war das Ganze für mich etwas frustrierend, da man einfach das indische Gesamtunterrichtskonzept sehr in Frage stellen muss.  (Da habe ich ja bereits drüber geschrieben.) Die Lehrer dort haben außerdem vor der Situation auch schon kapituliert und machen sich überhaupt nicht mehr die Mühe, die Leistungen der Schüler wirklich zu kontrollieren und Verbesserungsvorschläge anzubringen. Nach einiger Zeit in der Nursery wurden wir dann – unterbrochen von einem kurzen Examens-Intermezzo - zur „Substitution“, also zur Vertretung für abwesende Lehrkräfte eingesetzt. Das war insofern schön, als dass wir das erste Mal etwas wirklich aktiv und selbstständig, weil allein, tun konnten. Wir bekamen morgens unsere Klassen für den Tag zugeteilt. Im Klassenraum erfuhren wir dann von den Schülern, welches Unterrichtsfach und welches Kapitel im Buch heute anstanden und begannen dann wie hier üblich die Fragen und Aufgaben des Buches systematisch durchzugehen.  Aber auch hier musste man sich schnell fragen, wie wertvoll dieser Unterricht eigentlich für die Erziehung der Schüler sein kann. Das lag gar nicht an uns als unqualifizierten Lehrkräften, sondern mehr in der Tatsache begründet, dass das Schema der Lehrbücher einer Art Gehirnwäsche nahe kommt: Wenn z.B. im Fach „Moral Science“ fünfmal hintereinander Frage und Antwort „To whom do you pray everyday?“ – „I pray everyday to my god.“ abgeschrieben wird, finde ich das eher fraglich. Unsere neueste Aufgabe ist nun seit einigen Tagen „checking copies“. Dabei sollen wir die Hefte der Schüler aller Klassen daraufhin überprüfen, ob die jeweiligen Lehrer die Arbeiten der Schüler auch angemessen kontrollieren, Fehler anmerken etc. Eine Korrektur der Korrektur sozusagen. Bei über 2500 Schülern gibt es da viel zu tun. Ich komme mir langsam vor, als hätte ich ungeheure Ansprüche und an allen Tätigkeiten etwas auszusetzen. Aber 5 Stunden auf Hefte zu starren, in jedem Heft einer Klasse die gleichen Sätze zu lesen und auf eigentlich jeder Seite Fehler zu finden, da die Lehrer (siehe oben) das mit der Korrektur eher lax sehen ist definitiv nicht weshalb ich nach Indien gekommen bin (obwohl ich auch hier wiederum die Eindrücke von der indischen Schulkultur zu schätzen weiß). Problem bei diesen Korrekturen ist auch einfach, dass das „deutsche“ und das „indische“ Englisch sehr weit auseinander gehen. Die Inder benutzen etwas, das ich aus meiner Perspektive an vielen Stellen als eine Art gebrochenen Slang bezeichnen würde. Die Sprachkultur ist eine andere, weshalb ich in den Copies vieles als falsch erachte, bei dem die Lehrer anschließend gar nicht nachvollziehen können, warum ich es markiert habe. („What is wallpaper?“).
Diese Herumschieberei von uns Freiwilligen von einer Tätigkeit zur nächsten, die einander in ihrer fragwürdigen Sinnhaftigkeit nur wenig nachstehen ist ziemlich bedrückend. Hier scheint es einfach keine richtige Lücke für uns zu geben, da der Schulbetrieb auf seine Art läuft. In der Projektbeschreibung angekündigt war ja eigentlich auch, dass sich in den Nachmittagsstunden eine Möglichkeit bieten würde, Programm für die Hostelboys, bzw. –girls zu gestalten. Allerdings wurde das aus Deutschland einfach falsch eingeschätzt, da diese eigentlich rund um die Uhr in ihre „study-time“ eingebunden sind. Es ist auch ein doofes Gefühl händeringend um eine Aufgabe kämpfen zu müssen. Ich will ja nicht, dass die Leute in Begeisterungsstürme ausbrechen, weil endlich die lang ersehnte und gebrauchte Freiwillige aus Deutschland eingetroffen ist, aber ich möchte mich auch nicht völlig aufdrängen müssen.
Die Arbeitssituation ist also sehr frustrierend. Was die ganze Situation in den letzten Tagen dann zu einer Art Krise verschärft hat, ist der Aspekt der Freizeitgestaltung. Die Sinnlosigkeit der Tätigkeit wäre ja zu ertragen, wenn wenigstens die Freizeit einen Ausgleich dazu bieten würde. Allerdings hat sich vor ein paar Tagen etwas ereignet, was dies für uns auch zu einem Problemthema gemacht hat. Frustriert, da ich lange krank war und nur in meinem düsteren Zimmer bleiben konnte, packte mich das Bedürfnis wenigstens ein bisschen an die frische Luft zu kommen und den Kreislauf ein bisschen in Gang zu bringen. Daher lief ich – zugegebener Weise – etwas fahrlässig alleine durch das Wohnviertel, das an die Schule angrenzende Wohngebiet. Neugierig wie die Inder sind, wurde ich von vielen Menschen angesprochen. Dies ging auch lange gut, bis ein Mann, der ausgerechnet auch noch etwas abgelegen wohnte, begann übergriffig zu werden und meinen Busen zu berühren. Ich habe dann vor diesem Mann schnell die Flucht ergriffen und bin etwas erschüttert in die Schule zurückgekehrt. Dieser Vorfall hat die Fathers jetzt sehr in Aufruhr versetzt. Ihnen ist jetzt noch einmal bewusst geworden, wie gefährlich die Situation für uns als Frauen in Indien eigentlich ist. Deshalb wurden Besuche mit der Rikscha o.Ä. für uns vorerst völlig verboten und auch bei sonstigen Genehmigungen tun sie sich sehr schwer. Die einzige Möglichkeit für uns Freunde zu besuchen ist nun, dass diese über ein Auto verfügen und uns vom Schulgelände abholen und wieder zurückbringen können. Dies ist aber illusorisch, da nur die wenigsten gerade der jungen Leute ein Auto haben. Unsere Möglichkeit rauszukommen und in unserer Freizeit etwas anderes zu tun als auf dem Schulgelände zu sitzen und zu lesen oder zu stricken, ist daher praktisch auf ein Minimum reduziert. Die Situation kriegt hier etwas von Gefängnis und auch wenn die Fathers verstehen, wie sehr uns das belastet, so können sie aus ihrer Verantwortung heraus nichts anderes machen. Für mich, die von Kindesbeinen an eigentlich alles selbstständig mit dem Fahrrad erledigt hat, ist die Situation in dieser Form einfach nicht für ein Jahr auszuhalten.